Vergebung als Chance!?

Schwere Regentropfen prasseln auf den Landhausplatz nieder. Es ist November, die Temperaturen haben bereits deutlich abgekühlt und es herrscht eine atmosphärische Spätherbst-Stimmung, die ideal ist, um ein wenig in sich zu kehren.

Wir denken an die nahende Vorweihnachtszeit, die eigentlich allen Menschen ein friedliches Miteinander in Stille, Freude und Harmonie bescheren sollte. Diese Assoziation fordert uns heraus, Verantwortung für uns und andere zu übernehmen. Doch angesichts der weltweit anhaltenden Konflikte und dem nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom ist das friedliche Miteinander ein beinahe ironischer und abwegiger Gedanke. Wir haben keinen direkten Einfluss auf den Weltfrieden, jedoch bieten sich uns sehr viele Möglichkeiten, um in unserem unmittelbaren Umfeld zu einem gelungenen und friedlichen Miteinander beizutragen. Damit Frieden – sowohl im großen Weltgeschehen als auch im kleineren Umkreis – Wurzeln schlagen und wachsen kann, braucht es zuvor den Wunsch, die emotionalen (Beziehungs)Verletzungen zu vergeben, um wieder zueinander finden zu können. Doch anderen Personen zu verzeihen kann eine enorme Herausforderung darstellen. Daher drängt sich die Frage auf, ob Vergebung eine Kunst ist und jene Menschen, die leichter verzeihen können, begnadete KünstlerInnen sind? Wie denken Sie darüber?

In der Auseinandersetzung mit diesem Thema sind sich viele ExpertInnen einig. Wenn uns jemand verletzt oder ungerecht behandelt, dann „wiegt unter anderem die Schwere der Tat“, das heißt je tiefer wir verletzt wurden, desto schwerer fällt uns die Vergebung und das Vergessen. Ein Aspekt, der dabei helfen könnte, die Verletzung zu vergeben, ist einerseits das Bekenntnis der „TäterInnen", sich falsch verhalten zu haben bzw. die Reue, die diese Personen zeigen. Andererseits kommt auch den Charaktermerkmalen der Verzeihenden eine bedeutende Rolle zu. WissenschaftlerInnen sind der Auffassung, dass Menschen, die eine stark ausgeprägte Empathie besitzen, leichter vergeben können als jene, die sich schwer in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer Menschen hineinversetzen können und beharrlich ihre eigenen Standpunkte vertreten.

Womit wir wieder bei unserer ursprünglichen Frage angelangt sind und bei dem Gedanken, ob und wie es uns leichter gelingen könnte, Familienmitgliedern, FreundInnen oder anderen Menschen zu verzeihen, die uns absichtlich oder auch unabsichtlich verletzt haben. Eine bedeutende Rolle spielt hierbei das „Wollen“, denn gerade in der Anfangsphase des Vergebens hilft es über so manche Hürde hinweg. Demnach könnte Vergebung als Prozess beschrieben werden, der mit einem Sinneswandel verbunden ist. Denn der Wille zu verzeihen unterstützt uns dabei, die Verletzung zu überwinden. Es erfordert Kraft und Mut, sich mit den eventuellen Beweggründen auseinanderzusetzen, die die Menschen dazu bewogen haben, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten, durch die wir uns verletzt fühlen.

Für den Verzeihenden ist es wichtig, dass die Person, die uns gekränkt hat, Verantwortung für die Verletzung übernimmt indem sie anerkennt, dass sie mit ihrem Verhalten eine Grenze überschritten hat. Bei der Verarbeitung und Überwindung einer Kränkung kann es zudem hilfreich sein, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Dabei können die Wahrnehmung und deren Akzeptanz, dass Betrug, Lüge oder unbedachte Handlungen und Worte eine Verletzung hervorgerufen haben, welche vielleicht noch immer schmerzt, dienlich sein. Manchmal hilft auch eine gewisse räumliche und zeitliche Distanz zu jenen Personen, die uns mit ihrem Verhalten verletzt haben, damit der Heilungsprozess einsetzen kann.

Jene Menschen, die vergeben können, fühlen sich in den meisten Fällen sehr erleichtert und energiegeladen, da der Fokus von der Verletzung auf die Lösung gelegt wird. Dies soll natürlich nicht bedeuten, dass Kränkungen und schmerzvolle Erfahrungen beschönigt werden sollten. Im Gegenteil, Vergebung braucht die Anerkennung der Tatsache, dass sich jemand verletzend verhalten hat und dass diese Wunde schmerzt. Schlussendlich kann der Akt der Vergebung als eine Chance und gleichzeitig als ein Geschenk gesehen werden. Denn die Vergebung bietet die Chance, eine menschliche Hürde zu überwinden und in der Beziehung neu zueinander zu finden. Darüber hinaus ist sie ein Geschenk an jene Menschen, die uns wissentlich oder unwissentlich verletzt und gekränkt haben. Wenn wir vergeben oder Vergebung erfahren, kehrt große Freude und innerer Frieden in unser Leben ein, wodurch die Beziehung zu diesem Menschen eine neue Dimension erreichen kann. Ein wunderbarer Gedanke, besonders dann, wenn der Advent vor der Tür steht und die Welt rundherum von Konflikten und Krisen erschüttert wird. 


In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe LeserInnen, friedvolle und harmonische Spätherbsttage.
Ihr mcb´Team >>Feedback<<

 

Literaturliste:
Weingardt, Beate (2014): Das verzeih´ich Dir (nie)!: Kränkung überwinden, Beziehung erneuern .
Müller-Lissner, Adelheid (2011): Verzeihen können – sich selbst und anderen.

 

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