Wenn die Eltern altern

..sondern auch neue Beziehungskonstellationen innerhalb der Familie mit sich.

Mit den Veränderungen entstehen für alle Beteiligten neue Aufgaben, die es sowohl von den erwachsenen Kindern, als auch von den alternden Eltern zu bewältigen gilt. 

Im Laufe des Lebens durchläuft die Eltern-Kind-Beziehung verschiedenste Phasen, wobei gerade die ersten Jahre von großer Verbundenheit zwischen den Generationen geprägt sind, weil die Kinder von der Liebe und Fürsorge ihrer Eltern abhängig sind. Mit der Pubertät verändert sich die Eltern-Kind-Beziehung und im Vordergrund stehen bei den heranwachsenden Kindern der Wunsch nach Autonomie und Ablösung vom Elternhaus, es geht sehr oft um klare Abgrenzung von den „uncoolen“ Eltern. Sobald die Kinder erwachsen sind, entstehen vielfach wieder neue Formen der Familien- und Beziehungskonstellationen und die Generationen leben ihren Alltag mit bestimmten Berührungspunkten unabhängig voneinander. Grundsätzlich handeln Eltern und erwachsene Kinder selbständig und autonom und in Ausnahmefällen werden alltägliche Entscheidungen aufeinander abgestimmt.

Das ändert sich sehr oft, wenn die Lebensphase des Alterns beginnt und die Familien aufgrund der Gebrechlichkeit der Eltern oftmals wieder enger zusammenrücken wollen bzw. müssen. Durch die neu entstandene Nähe zeigen sich in vielen Fällen auch wieder alte Familienmuster, die für viele Jahre durch die Unabhängigkeit aller Familienmitglieder in den Hintergrund getreten sind und im Alltag keine Rolle mehr gespielt haben. Zur Verbundenheit der Kindheit kann nicht zurückgekehrt werden, denn in der Zwischenzeit haben alle Beteiligten unabhängig voneinander - und natürlich auch miteinander - viele Erfahrungen gemacht, die mitunter auch die Eltern-Kind-Beziehung beeinflusst haben. Deshalb stellt sich nun die Frage, wie viel Verbundenheit in der gegenwärtigen Situation zwischen den erwachsenen Kindern und den alternden Eltern möglich ist, um eine gute Balance für alle Beteiligten zu finden?

Das Konzept der „filialen Reife“ in Anlehnung an Ugolini geht davon aus, dass die Eltern-Kind-Beziehung eine neue Phase durchläuft, sobald die Eltern hilfsbedürftig werden, und sie nicht mehr den - im Idealfall - gewohnten Rückhalt geben können, sondern ihrerseits auf die Hilfe der Kinder angewiesen sind. Nun geht es für die Kinder darum, eine filiale, reife Haltung, d. h. ein erwachsenes Verhältnis gegenüber den Eltern zu entwickeln. Die Kinder sollten die Eltern nicht nur in der bis dato gewohnten Rolle sehen, sondern sie als Individuen mit eigener Biographie, eigenen Interessen und Zielen respektvoll wahrnehmen.

Oftmals ist dieser Prozess der Veränderung an eine hochemotionale Krise gekoppelt, da sich ein Gefühl von Unsicherheit breitmachen kann oder erlebte Verletzungen wieder stärker präsent werden können. Doch wenn die Perspektive auf die Eltern erweitert wird, bekommen Verletzungen oftmals eine neue Konnotation und treten möglicherweise in den Hintergrund, wodurch eine Hinwendung zu den Eltern in der derzeitigen Bedürftigkeit einfacher wird. Diese Zuwendung sollte jedoch immer freiwillig und nicht aufgrund von moralischem Druck, von Schuldgefühlen oder eines „Erbanteiles“ erfolgen.

Darüber hinaus sollte eine gefühlsmäßig autonome Haltung vorhanden sein, die es erlaubt, Grenzen zu setzen und jenen persönlichen Einsatz zu bringen, der in Abhängigkeit zur gelebten Geschichte und zum Grad der Verbundenheit angemessen ist.  Auf keinen Fall sollte es zu einem Rollentausch kommen, wodurch bspw. die erwachsene Tochter zur Mutter wird und infolge der Rollenumkehr einen Erziehungsauftrag gegenüber ihrer eigenen Mutter übernimmt. Dies führt zu Überforderung und Irritation auf beiden Seiten. Es ist auch von Vorteil, Verständnis und Einfühlungsvermögen für den immer kleiner werdenden Lebensradius der Eltern zu entwickeln, wodurch sie viele Verluste auf körperlicher, psychischer, geistiger und sozialer Ebene erleben müssen, die es zu verkraften gilt. 

So wie die erwachsenen Kinder haben auch die alternden Eltern Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Sie müssen das eigene Älter- und Schwächer-werden auf allen Ebenen akzeptieren und lernen, dass sie die Kinder nicht mehr im bisherigen Ausmaß unterstützen können. Oftmals fällt es den Eltern schwer zu akzeptieren, dass sie sich nicht zur Gänze auf die Kinder stützen können, getreu dem Motto: „Wir haben dich in die Welt gesetzt und uns jahrelang um dich gekümmert, also kümmerst du dich nun auch um uns!“ Elternbetreuung darf nicht mit Kinderbetreuung gleichgesetzt werden. Deshalb ist es sehr wichtig, dass alternde Eltern versuchen, ihr eigenes soziales Umfeld weiterhin selbst aktiv zu gestalten, wenn auch in reduzierterer Form als bisher.

Natürlich gibt es kein Patentrezept für eine gelingende Beziehungsgestaltung. Es kann jedoch hilfreich sein, früh genug über Erwartungen und Wünsche zu sprechen, um später, im Sinne der Eltern, entscheiden zu können. Denn oftmals sind unausgesprochene Erwartungen der Kern allen Übels. Ebenso ist es wichtig, gesunde Grenzen in der Eltern-Kind-Beziehung einzuhalten, speziell in Familiensystemen, in denen eine enge Verstrickung und Verbundenheit an der Tagesordnung stehen. Darüber hinaus macht es wenig Sinn, sich mit anderen Familien und deren Lösungsversuchen zu vergleichen, sondern Respekt und Wertschätzung vor dem zu haben, was innerhalb der eigenen Familie möglich ist. Und die Quantität von Geben und Nehmen erfolgt immer in Abhängigkeit zu dem, was wir aufgrund unserer gelebten Geschichte bereit sind zu tun.

Sollten der Ansatz der „filialen Reife“ Interesse bei Ihnen geweckt haben, weil Sie sich vielleicht im Kontext Ihrer eigenen Familiengeschichte Gedanken bezüglich ihrer alternden Eltern machen, freuen wir uns, Sie auf diesem Weg begleiten zu dürfen. >>Feedback<<

 

Herzliche Grüße
Ihr Team von ´mcb

 

Weiterführende Literatur:
Ugolini, Bettina (o. A.): Veränderung der Beziehung(en). Erwachsene Kinder – alte Eltern. Verfügbar unter:
https://www.pflege-entlastung.ch/erwachsene-kinder-alte-eltern (Stand 02.07.2019).
Siegle, Dorothea (2019): Familie. Die Seele hat ihr eigenes Tempo. In: Psychologie Heute. Verfügbar unter: https://www.psychologie-heute.de/familie/39751-die-seele-hat-ihr-eigenes-tempo.html (Stand 02.07.2019).

 

 

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