Selbstführung Teil 2 - Der Blick von oben

... Sie sind nun auf einer idyllischen Insel angekommen, Sie springen vom Schiff, Ihre Füße werden vom glasklaren Meerwasser umspült. In Ihrem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus, Sie blicken auf den schmalen, weißen Strand und auf den tropischen Regenwald mit hunderten von Bäumen, deren Kronen in satten Grüntönen leuchten. Sie verspüren Durst und machen sich im Inneren der Insel auf die Suche nach etwas Trinkbarem. Sie begeben sich in den Wald, es fühlt sich angenehm kühl an. Mit der Zeit fragen Sie sich, ob Sie auf dem richtigen Weg sind. Sie sehen weder einen Pfad, noch einen ausgetretenen Weg. Sie sehen nur gewaltige Baumstämme, Mangroven und Sträucher. Zwischen den Bäumen kommen Sonnenstrahlen durch. Fieberhaft beginnen Sie zu überlegen, wie lange es wohl noch dauern wird, bis Sie eine Wasserquelle finden können. Der Durst wird schon intensiver. Sie gehen weiter. Natürlich haben Sie einen Kompass dabei, und Sie entscheiden sich nach Norden zu gehen. Dennoch wissen Sie nicht, ob Sie Ihr Weg zu der heißersehnten Wasserquelle führen wird. Nach einer Weile wird Ihnen bewusst, dass Sie sich in einem völlig unbekannten Terrain befinden. Und Sie erkennen, dass Sie trotz Kompass und Wegweiser die Orientierung verloren haben. Sie fühlen in sich hinein und verspüren keine Angst, denn Sie verlassen sich auf Ihre Instinkte und als Kapitän haben Sie bereits Erfahrung mit ähnlichen Situationen gesammelt. Während Müdigkeit und Durst langsam Ihre Sinne trüben, kommt Ihnen eine Idee. Sie sammeln Ihre Kräfte und klettern auf den nächsten Baum, bis in die Baumkrone hinauf. Sie sehen nun die ganze Insel von oben und ein Lächeln erhellt Ihr Gesicht. Sie erspähen ihr Schiff, Sie entdecken einen wunderschönen Wasserfall und sogar eine kleine Siedlung. Erfreut klettern Sie wieder hinunter, der Rundumblick hat Ihnen eine neue Perspektive ermöglicht. Sie erkennen Ihre Möglichkeiten und wissen nun in welche Richtung Sie gehen wollen.

Wenn wir uns mitten in einer schwierigen Lebensphase befinden, kann es uns ähnlich ergehen. Wir verlieren trotz Kompass die Orientierung und die Übersicht über unser Leben. Vor allem, wenn sich Emotionen und unerfüllte Grundbedürfnisse in uns ausbreiten und unkontrollierbar erscheinen. In solchen Momenten fühlen wir uns allein gelassen und orientierungslos, sehr oft erleben wir dabei auch einen Kontrollverlust. In solchen Situationen hilft es uns, Abstand zu gewinnen, indem wir die Position verändern, unseren Fokus neu ausrichten und aus der Distanz wieder einen besseren Überblick über unsere Lösungsmöglichkeiten bekommen.

Selbstregulation ist eine weitere Säule der Selbstführung. Forschungsergebnisse zeigen, dass durch den Grad der emotionalen Distanzierung sowohl unsere Problemlösungsfähigkeit als auch unsere Kreativität bei der Lösungsfindung steigt (vgl. Langer & Moldoveanu, 2000). Das Prinzip der Distanzierung beruht auf Steuerung der Achtsamkeit, wodurch Schritt für Schritt der Fokus der Aufmerksamkeit verändert wird. Weitere Studien belegen, je besser wir eine Situation und die damit verbundenen Reaktionen mit Klarheit erkennen können, indem wir zu unseren eigenen Beobachtern werden, desto besser wird unsere Fähigkeit, befriedigendere Entscheidungen zu treffen. (Brown & Ryan, 2003).

Zuerst einmal klingt dies schwierig. Die gute Nachricht jedoch ist, dass diese Fähigkeit trainierbar ist!

Wollen Sie es ausprobieren? Suchen Sie sich dazu ein ruhiges Plätzchen, schalten Sie das Telefon aus und los geht’s.

Schritt 1: Wahrnehmen der Emotionen und Gefühle oder der Situation.: Sie nehmen Durst und auch wachsende Unsicherheit wahr: „Werde ich je den Weg und das Ziel finden?“ Dennoch bleiben Sie ruhig und konzentrieren sich weiterhin auf Ihren Atem.

Schritt 2: Annehmen bzw. Akzeptieren dieser Emotionen und der Situation, ohne diese zu verdrängen oder flüchten zu wollen: Sie sind sich bewusst, dass Sie die Orientierung verloren haben. Dennoch erkennen Sie, dass Sie eine planlose Vorgangsweise nicht schneller aus der Situation befreien und dass Sie zielloses Handeln auch nicht eher an Ihr Ziel bringen wird. Sie akzeptieren die Situation und bleiben besonnen.

Schritt 3:  Gedanken, Emotionen und Gefühle, die in dieser Situation auftauchen nicht bewerten oder beurteilen -  einfach kommen und wieder gehen lassen: Der intensive Durst raubt Ihnen die Sinne. Viele Gedanken schießen durch Ihren Kopf. Sie lassen die Gedanken vorüberziehen und bleiben weiterhin konzentriert. Durch diese überlegte Haltung entsteht Raum und Zeit für situationsangepasstes Verhalten, weil zwischen dem Wahrnehmen und der Reaktion eine kleine Zeitspanne vergeht, in der wir unsere Optionen bewusster abwägen können. Indem Sie bewusst den Blick auf die Ressourcen richten, entdecken Sie, dass der Baum, der Ihnen zuvor die Sicht versperrt hat, zugleich eine neue Chance bietet, einen besseren Überblick zu bekommen.

Schritt 4: Zum Beobachter werden. Die Situation - Beobachtung aus der Baumkrone - wie zuvor am Beginn des Artikels beschrieben.

ODER

Sie lassen die Schritte 1- 3 aus und klettern für einen besseren Überblick gleich auf einen Baum. ;-)

Liebe LeserInnen, wenn Sie sich gerade in einer ähnlichen Situation befinden und Ihren Weg aus dem „Problem-Dschungel“ noch nicht erkennen können, dann bauen wir gerne eine Räuberleiter für Sie.

Ihr ´mcb Team

 

Literatur:

Brown, K. W., & Ryan, R. M. (2003) The benefits of beeing present. Mindfulness and ist role in psychological well-beeing. Journal of Personality and Social Psychology, 84 (4), 822-848.

Langer, E., & Moldoveanau, M. (2000). The Construct of Mindfulness. Journal of Social Issues 56 (1), (1-9).

Shapiro, S.L., Carlson, E.L., Astin, J.A., Freedman, B. (2006). A Review Article. Mechanisms of Mindfulness. Journal of clinical psycology (1-13).

Ulrich, H.T. (2018). Spiritual Leadership. Mit Fokus und Achtsamkeit zum Kern wirksamer Selbst-Führung. Springer-Gabler Verlag: München

Weiterführende Links: https://mbsr-mbct.at/#

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