Herz im Ausnahmezustand …

..der sich einstellt, wenn sich eine geliebte Person von uns trennt und/oder wir soziale Zurückweisung erfahren. 

Ohnmacht. Schockstarre. Fassungslosigkeit. Das Hirn steht still. Absolute Leere. Die Atmung wird lähmend. Zittern. Schweißausbrüche. Nervosität. Und dann … dieser körperliche Schmerz im Brustbereich, als würde sich etwas in unser Herz bohren, darin herumwühlen und es schlussendlich herausreißen. Das Herz gerät förmlich außer Takt. In Folge zeigt sich das Gefühlschaos gerne in schlaflosen Nächten sowie unterdrücktem Hungergefühl, da aus evolutionsbiologischer Sicht der Kampf- oder Fluchtinstinkt steigt. Gefühlt 1000 unbeantwortete Fragen kreisen durch den Kopf. Die Reaktion auf den hohen Stresslevel kann dazu führen, dass wir uns im beruflichen Alltag kaum noch konzentrieren können und dass uns häufiger Fehler passieren. Manchmal zeigt sich der Herzschmerz auch in unkontrollierbaren Weinattacken. 

Helen Fisher, Anthropologin, gilt als führende Expertin in der Biologie der Liebe. Gemeinsam mit Lucy Brown, Neurowissenschaftlerin, hat sie herausgefunden, dass das Gefühl der Liebe tief im Stammhirn aktiviert wird, an deren Stelle die Kreisläufe für andere Überlebensreflexe sitzen. Diese Tatsache lässt uns denken, dass die Liebe Teil unseres Überlebenssystems ist. 

Sie fand im sog. ventralen Tegmentum (VTA) Hinweise auf starke Ähnlichkeiten zwischen den Verliebtheitsgefühlen und dem ersten Hochgefühl, das nach dem Konsum von Kokain einsetzt. Infolge dieser körpereigenen Vorgänge wird bei Verliebtheit massenhaft Dopamin produziert, weshalb wir in dem Hochgefühl kaum schlafen und essen können und sehr konzentriert und hochmotiviert sind. Dies führt dazu, dass wir ebendiese Handlungen, die in uns ein gutes Gefühl auslösen, wiederholen möchten. Wenn die Liebe bei uns die selbe Gier auslöst wie der Konsum von Drogen könnte man im Umkehrschluss aus biochemischer Sicht sagen, dass ein Mensch mit starkem Liebeskummer wie ein Heroinjunkie auf kaltem Entzug reagiert. Das heißt, indem wir versuchen jegliche Art des Kontakts zu dem Objekt der Begierde zu unterlassen, wird das angenehme Wohlgefühl, das die Nähe hervorgerufen hat ins krasse Gegenteil verkehrt – in quälende Abstinenz. 

Deshalb ist es wichtig, andere und auch neue Erfahrungen zu machen, die das Dopamin-System und infolge dessen unser Wohlfühlgefühl wieder ankurbeln. Alte vertraute Menschen zu treffen, sich von ihnen umarmen zu lassen, neue Bekanntschaften zu schließen, öfters aerobes Training zu betreiben und sich ausgewogen ernähren, um wieder optimistischer an andere Lebensbereiche heranzugehen. 

Fisher kommt zur Schlussfolgerung, dass Menschen auf Liebesentzug glauben, noch heftiger als vor der Trennung verliebt zu sein. Sie schalten auf Überlebensmodus um und aktivieren alles, um das Objekt der Begierde zurückzugewinnen und damit den früheren Wohlfühl-Zustand wiederherzustellen. Dabei fallen sie oftmals in ungesunde Verhaltensmuster wie etwa Stalking. Wenn wir unser Liebesobjekt in den sozialen Medien verfolgen, ist es wichtig,  keine eigenen Interpretationen über die Bedeutung der jeweiligen Posts oder Bilder aufzustellen. Zum einen verletzen wir uns dabei selbst am meisten und zum anderen verschwenden wir für diese Interpretationen sehr viel Energie, die wir sinnvoller nutzen können. 

Liebeskummer kann als eine Art Lebenskrise gesehen werden, nicht nur bei Teenagern, sondern auch bei Erwachsenen. Im Durchschnitt erlauben sich Menschen bis zu drei Monaten über ihren Kummer zu sprechen. Nach etwa dieser Zeitspanne wird es kritisch, denn vom Großteil des Umfeldes bekommen die Betroffenen – natürlich wohlwollend - suggeriert, dass das Leben weitergeht, und dazu zählt auch, dass sie, den gesellschaftlichen Normen entsprechend, „funktionieren“ sollten. Es wird zunehmend schwerer darüber zu sprechen und andere, so empfinden es die Betroffenen, zu „belasten bzw. zu nerven“. 

In dieser Lebenskrise ist es sinnvoll, ab einem gewissen Zeitpunkt den Fokus weg vom Objekt der Begierde hin zu sich selbst zu richten. Denn der persönliche Anteil bei der Entstehung von Liebeskummer spielt eine große Rolle. Hierfür könnte es Sinn machen, sich primär die Frage zu stellen, was wir sowohl aus dieser Beziehung, als auch aus dem Kummer lernen dürfen? Das heißt, den eigenen Anteil am Gelingen, aber auch an Konflikten oder dem Beziehungsende zu reflektieren. 

Oftmals wird das Lebensglück bei der Partnerin/dem Partner gesucht, wir geben Verantwortung ab und denken, dass sie/er uns glücklich machen muss. Hierbei geht es sehr oft um kindliche, unbefriedigte Bedürfnisse, die das Gegenüber erfüllen soll. Diese „kindliche“ Erwartung führt zu einer stärkeren Abhängigkeit in den partnerschaftlichen Liebesbeziehungen, wobei das Gegenüber mit zu hohen Erwartungen überfrachten wird. Dies wiederum kann sowohl ein hohes Konflikt- als auch Enttäuschungspotential in sich tragen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass der liebeskranke Mensch prinzipiell ein negatives Selbstbild in sich trägt und sich in seinem Leben nicht wirklich wohl fühlt. Dies könnte sich in Folge dessen natürlich im partnerschaftlichen Verhalten widerspiegeln. 

Im Liebeskummer, so schmerzhaft er auch sein kann, steckt eine unheimlich große Chance für die persönliche (Weiter-)Entwicklung. Beispielsweise selbst Verantwortung für sein Fühlen, Denken und Handeln zu übernehmen und das Leben und eigene Wohlbefinden selbstbestimmt zu steuern. Darüber hinaus kann Herzschmerz ein Zeichen dafür sein, dass wir mutig genug waren, unser Herz zu verschenken und zu lieben - und das ist doch wunderbar!? 


Wenn sich Ihr Herz im Moment im Ausnahmezustand befindet und Sie das Gefühl verspüren, Ihren eigenen Anteil näher unter die Lupe nehmen zu wollen, begleiten wir Sie gerne dabei. >>Feedback<<

Ihr ´mcb Team

 

Weiterführende Literatur:
Fisher, Helen (1993): Anatomie der Liebe. Warum Paare sich finden, sich binden und auseinandergehen. München: Droemer Knaur. 
Hausen, Johannes (2016): Wissenschaftlich erklärt, warum Liebeskummer uns so weh tut. Verfügbar unter: https://www.vice.com/de/article/bmvwzq/was-passiert-eigentlich-mit-deinem-krper-wenn-dir-jemand-das-herz-bricht?mc_cid=0ae7876ea2&mc_eid=0c11199f2e (Stand 18.08.2020).
Hergert Jane (2019): Liebeskummer: Wenn aus dem Wir ein Ich geworden ist. Verfügbar unter: https://scilogs.spektrum.de/love-sexually/liebeskummer-wenn-aus-dem-wir-ein-ich-geworden-ist/ (Stand 18.08.2020).Frei, Christian (2014): Sleepless in New York. Dokumentarfilm. 

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