Resonanz statt Einsamkeit

Wer allein ist oder gar sozial isoliert lebt, muss sich nicht zwangsläufig einsam fühlen. Einsamkeit ist ein subjektives Erleben. Es wird von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich empfunden. Umgekehrt können sich auch Menschen, die viele familiäre und freundschaftliche Kontakte haben, einsam fühlen. Manchmal ist die Einsamkeit, die man in Beziehungen erlebt, schwerer zu ertragen, als das faktische Alleinsein.
Fest steht: Einsamkeit ist in vielfacher Hinsicht belastend, sie schmerzt und kann auch krank machen. Daher sollten wir der Einsamkeit mehr Aufmerksamkeit schenken und sie nicht als unangenehme Nebensache betrachten – weder bei uns selbst noch bei Menschen in unserem Umfeld. Wie wichtig das ist, hat unter anderem die Regierung in Großbritannien deutlich gemacht, indem sie 2018 ein Einsamkeitsministerium eingerichtet hat. Diesem Schritt war eine Umfrage des Roten Kreuzes vorausgegangen, die ergeben hat, dass mehr als neun Millionen der rund 66 Millionen Menschen in Großbritannien sich immer oder häufig einsam fühlten. Die Nachricht über die Errichtung des Einsamkeitsministeriums hat europaweit für viel Verwunderung gesorgt. Vor allem hat sie aber eines bewirkt: Einsamkeit wurde aus der Tabuzone geholt, sie wurde als gesellschaftliches Phänomen benannt, das viele Menschen betrifft – und zwar häufig im Verborgenen.

Vielleicht kennen Sie solch ein Dilemma: Ein Mensch fühlt sich einsam und hat zugleich die Sorge, dass andere das merken könnten. Die Folge: Er spricht nicht darüber, zieht sich weiter zurück, um nicht als einsam „entlarvt“ zu werden – und seine Not wird größer. Wie ernst diese Not ist, hat unter anderem die Hirnforschung herausgefunden. Es mag erstaunen, aber das Gefühl der Einsamkeit wird im gleichen Bereich der Hirnrinde verarbeitet wie Schmerzen. Wenn Menschen erzählen, dass etwa der Verlust eines geliebten Menschen sie „schmerzt“, dann ist das durchaus wörtlich zu verstehen: Die durch den Verlust bedingte Einsamkeit tut weh. 

Noch ein interessanter Schluss lässt sich aber aus dieser Verbindung zwischen Einsamkeit und Schmerz ziehen. Schmerzen sind ja nicht nur unangenehm, sie haben auch eine wichtige Funktion, denn sie machen uns auf Gefahren aufmerksam. Die heiße Herdplatte meiden wir, weil wir unsere Erfahrungen damit haben. Schmerzen helfen uns also, unsere körperliche Unversehrtheit zu bewahren. Doch wir Menschen brauchen zum Leben mehr als das, wir sind auch auf eine funktionierende Gemeinschaft angewiesen. Wenn wir diese nicht haben oder die Verbindung abzureißen droht, macht uns die Empfindung der Einsamkeit auf ein Problem aufmerksam. Sie weist uns darauf hin, dass es eine Veränderung braucht, dass wir uns schützen sollten. Denn das Erleben von Gemeinschaft hilft uns ganz wesentlich dabei, gesund zu bleiben. Wie das geht? Der Neurowissenschafter Manfred Spitzer weist in seinem Buch „Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit“ auf die Gefahren von Stress hin. Stress wird durch ganz unterschiedliche Belastungen ausgelöst und ist nicht grundsätzlich schädlich. Wenn er aber chronisch wird, droht Gefahr. „Chronischen Stress können wir in der Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen abbauen“, schreibt Spitzer. Wer ein zurückgezogenes Leben führt und dauerhaft Einsamkeit empfindet, habe daher ein deutlich höheres Risiko, chronisch zu erkranken.

Doch was kann man tun, wenn man sich einsam fühlt oder sich Sorgen um jemanden macht, der oder die einsam ist? Einsamkeit führt, wie schon oben erwähnt, oft zu weiterem Rückzug: Das Selbstvertrauen wird geschwächt, es wird immer schwerer, auf andere Menschen zuzugehen. Aus dieser Spirale auszusteigen ist schwierig, aber möglich. Zunächst ist es sinnvoll, das Gefühl der Einsamkeit ernst zu nehmen und sich ihm zuzuwenden – und es nicht als persönliches Versagen zu sehen, sondern als ein Gefühl, das sehr viele Menschen betrifft und auch mit unserer Gesellschaft zu tun hat. Es kann erleichternd sein, sich jemandem anzuvertrauen. Und weil es manchmal schwierig ist, aus der Einsamkeit heraus auf jemanden zuzugehen, ist das Gespräch mit einer Beraterin, einem Berater ein möglicher Schritt aus der Spirale heraus. 

Doch auch kleine, alltägliche Begegnungen, ein freundliches Gespräch mit einer Nachbarin oder dem Trafikanten, sind von hohem Wert für das Empfinden von Gemeinschaft, von Eingebunden-Sein in ein größeres Ganzes. Dass es für solche Gartenzaun-Gespräche in der heutigen, leistungsorientierten Zeit immer weniger Gelegenheit gibt, stimmt den Soziologen Hartmut Rosa sehr besorgt: Der Mensch müsse rund um die Uhr funktionieren, schneller und besser werden, er würde sich der Welt nicht mehr öffnen. Rosa sieht in dieser „gestörten Weltbeziehung“ einen wesentlichen Grund dafür, dass sich heute so viele Menschen einsam fühlen. Anzustreben wäre aus seiner Sicht eine „resonante Mensch-Welt-Beziehung“ – eine, in der Mensch und Umwelt einander wechselseitig anregen und zum Schwingen bringen, eben Resonanz erzeugen. 

Wie kann das gelingen? Zum Beispiel indem man offen und gelassen die Dinge auf sich zukommen lässt. „Wir müssen wieder lernen, uns von der Welt berühren zu lassen und damit aufhören, uns alles erzwingen zu wollen“, sagt Hartmut Rosa.

Begegnung und Gemeinschaft lassen sich grundsätzlich nicht erzwingen. Sie können aber entstehen, z. B. dadurch, dass man sich entscheidet, etwas zu geben: Interesse, Zuwendung, Unterstützung oder etwas anderes, das einem anderen Menschen gut tut.  Der Hirnforscher Manfred Spitzer weiß: „Menschen haben von klein auf eine Tendenz zum Geben, was ihr Gemeinschaftsleben fördert. Geben macht ihnen Freude und stärkt gemeinschaftliches Handeln. Es resultiert ein positiver Kreislauf von Freude und Gemeinschaft.“ Vielleicht probieren Sie es einfach mal aus und überraschen jemanden. Der Effekt könnte sein, dass Sie damit nicht nur das Gegenüber, sondern auch sich selbst beschenken. 

Wenn der Soziologe Rosa sagt, dass wir als Gesellschaft mehr Resonanzräume brauchen, fügen wir vom ‘mcb hinzu: Wir bieten Ihnen diesen Resonanzraum gerne an. Wenn Sie den Wunsch nach einem Gespräch mit Resonanz haben, sind wir für Sie da. >>Feedback<<


Ihr ‘mcb Team

 

Literatur:
Spitzer, Manfred (2018): Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit. Schmerzhaft, ansteckend, tödlich. Droemer Verlag.
Rosa, Hartmut (2019): Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Von einsamen Menschen und solchen, die es gerne sind. Ulmer Denkanstöße 2019: „Einsamkeit – Isolation und Freiraum“. Artikel von Andrea Weber-Tuckermann zum Vortrag von Hartmut Rosa.

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