Schritt für Schritt der Angst "Adieu" sagen

Sich jemandem anzuvertrauen, fällt mitunter schwer, kann aber viel bewegen.

„Man sollte es nicht zulassen, dass die Angst vor Peinlichkeit einem das Leben kaputt macht.“ Diese Aussage stammt von einer Frau, die weiß, wovon sie spricht. Sie litt lange unter sozialen Ängsten, die ihr Leben sehr eingeschränkt haben. Heute ist sie froh, dass sie sich nicht damit abgefunden, sondern daran gearbeitet hat.

Wenn Alltägliches zum Hürdenlauf wird

In bestimmten Situationen ein Gefühl von Angst zu haben, ist völlig normal. Wer hat noch nie die Sorge erlebt, beobachtet, ausgelacht oder abschätzig betrachtet zu werden oder etwa bei einer Prüfung zu versagen? Wir reagieren mit Angst, wenn etwas von uns sichtbar werden könnte, was wir als Schwäche erleben. In vielen Fällen ist das hilfreich: „Angst ist für das Überleben unverzichtbar“, sagte die Intellektuelle Hannah Arendt. Sie sprach damit die so genannte funktionale Angst an, die uns z. B. hilft, in einer bestimmten Situation die Konzentration zu steigern – was etwa in Gefahrensituationen oder bei Prüfungen sehr günstig ist. Dysfunktionale Angst hingegen führt zu Erstarrung und kann die Handlungsfähigkeit stark reduzieren. Menschen, die davon betroffen sind, sprechen naturgemäß nicht gern darüber. Sie können zum Beispiel Angst vor sozialen Kontakten haben, vor Krankheiten, vor Abwertung durch andere Menschen oder auch vor bestimmten Situationen, etwa dem Telefonieren neben Kolleg:innen oder anderen alltäglichen Tätigkeiten. Ihr großes Bedürfnis, sich vor Situationen zu schützen, die peinlich werden könnten, führt dazu, dass sie sich mitunter sehr stark aus dem sozialen Leben zurückziehen und auch keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Sehr lange wird dann versucht, durch besondere Anstrengungen kompetenter, sicherer, lockerer zu werden. Doch der Plan geht oft nicht auf: Das intensive Bemühen um souveränes Auftreten führt eher nicht zu mehr Gelassenheit. Weitere Rückschläge sind vorprogrammiert.

Wege aus der Angst

Die gute Nachricht: „Soziale Angst muss kein Schicksal sein.“ Das vermitteln Jürgen Hoyer und Samia Härtling in ihrem sehr praxisorientierten Buch „Soziale Angst verstehen und verändern“, aus dem auch das Zitat am Anfang dieses Textes stammt. 

Der erste entscheidende Schritt ist für viele Menschen, das Schweigen zu brechen. Die Hürde, die genommen werden muss, ist groß. Die Erfahrung, mit dem Problem ernst genommen und wertgeschätzt zu werden, kann dann aber äußerst wohltuend sein. Sie ist der Grundstein, auf dem sich aufbauen lässt – vor allem, wenn diese Erfahrung bewusst reflektiert wird. Es liegt nämlich an uns selbst, zu entscheiden, ob wir unsere Aufmerksamkeit auf wohltuende, gelungene Erlebnisse richten, oder ob wir unangenehme Erfahrungen fokussieren und sie für die Zukunft im Gedächtnis behalten. Gezieltes Aufmerksamkeitstraining kann helfen, den Blick aktiv zu steuern, und das ist wichtig, weil Menschen, die von sozialer Angst betroffen sind, dazu neigen, mit dem Aufmerksamkeitsscheinwerfer in sich hinein zu leuchten: Schwitze ich? Werde ich rot? Stelle ich mich gerade ungeschickt an? Das Problem: Wir nehmen das, was wir ausleuchten, intensiver wahr und sind dadurch weniger aufnahmefähig für das Außen. So können wir vielleicht einem Gespräch weniger gut folgen – und das löst wiederum Angst aus, einen schlechten Eindruck zu machen. Das Ziel des Aufmerksamkeitstrainings ist daher, den Blick wieder flexibler zu steuern und zum Beispiel auf die eigentliche Aufgabe zu lenken, um die es gerade geht. 

Welche Hirnregion setzt sich durch?

Wenn Ängste groß und größer werden, geschieht im Gehirn etwas sehr Interessantes. Der präfrontale Cortex, die Hirnregion, die unsere emotionalen Reaktionen auf die unterschiedlichsten Reize reguliert, wird gewissermaßen ausgeschaltet. Stattdessen übernimmt die Amygdala das Kommando. Das limbische Stressnetzwerk sorgt dann z. B. dafür, dass wir auf eine verunsichernde Situation mit sehr starken Gefühlen – etwa mit Angst – reagieren. Weil das Regulativ ausfällt, gewinnt die Angst die Oberhand. Es gilt also, die regulierende Hirnregion wieder zu aktivieren, z. B. mithilfe von Denksportaufgaben: Man kann rückwärts zählen, jeden zweiten Buchstaben im Alphabet aufsagen oder eine andere Aufgabe ausführen, die fordernd, aber nicht zu schwer ist. Die Neurowissenschaften können mittels Hirnscan messen, dass derartige Interventionen zu einer Verringerung der emotionalen Stressreaktion führen. Es lohnt sich also, in heiklen Situationen der Angst aktiv vorzubeugen oder zu begegnen. (Vgl. Eilert 2022)

Der scheinbar sicherste Weg, sich vor angstbesetzten Situationen zu schützen, ist deren Vermeidung. Fast alle Menschen zeigen derartiges Sicherheitsverhalten – unterschiedlich ausgeprägt. Wenn jemand soziale Ängste hat, kann sich diese Strategie negativ auswirken. So erfährt man nie, was passiert wäre, wenn man ein Treffen, eine Einladung, einen Auftritt nicht vermieden hätte. Man kann weiter in der Annahme bleiben, dass man gescheitert wäre oder sich blamiert hätte. „Ein weiterer negativer Aspekt des Sicherheitsverhaltens ist, dass es sehr viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen kann. Sich ständig perfekt auf alle (Un-)Möglichkeiten vorzubereiten, erfordert akribische Planung und kostet Zeit und Nerven. Zugleich bleibt auch ständig die Angst und Unsicherheit, ob man auch wirklich an alles gedacht hat und auf jede Eventualität ausreichend vorbereitet ist.“ (Hoyer/Härtling 2019, S. 132) Sicherheitsverhalten zu reduzieren, ist daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Angst. 

Erfolge ermöglichen

Entscheidend ist, dass soziale Angst nicht allein durch gute Argumente und durch Verstehen der Mechanismen verschwindet. Was es braucht, um sie wirklich in den Griff zu bekommen, sind positive, bestärkende Erfahrungen. Und die kann nur machen, wer übt und etwas Geduld mitbringt, denn bis man sich bei diesen Übungen wohlfühlt, kann es schon eine Weile dauern. 

Liebe Leser:innen, manchmal ist der erste Schritt, eine innere Barriere zu überwinden und diesem Thema in einem vertrauensvollen Rahmen Raum zu geben. Wir bieten unsere Unterstützung sehr gerne an und freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme. >>Feedback<<

Ihr ´mcb Team 


Literatur:
Hoyer, Jürgen/Härtling, Samia (2019): Soziale Angst verstehen und verändern. 2. Auflage, Springer, Berlin. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-59076-8
Eilert, Dirk W. (2022): Angst – die missverstandene Emotion und wie wir sie managen können. In: Die Mediation, Fachmagazin für Konfliktlösung – Entscheidungsfindung – Kommunikation, Quartal II / 2022, S. 19–24

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