Unser letzter gemeinsamer Kaffee ...
Der Sommer ist vorbei und hat seinen Platz dem Herbst überlassen, der uns mit seinem Naturschauspiel wunderbar daran erinnert wie vergänglich alle Momente des Lebens sind. Manchmal jedoch können diese Erinnerungseffekte auch Fragen hervorrufen, wie etwa der Satz eines guten Freundes bei einem gemeinsamen Frühstück. Wir waren in einem Gespräch vertieft und genossen das Gefühl von freundschaftlicher Harmonie, die allerdings unsanft endete als mein Freund eine zunächst simpel wirkende Frage stellte: „Was wäre, wenn wir heute unseren letzten gemeinsamen Kaffee trinken würden?“ Verunsicherung machte sich in mir breit, ebenso wie Besorgnis über den Gesundheitszustand meines Freundes. Aber mein Freund war nicht krank, es war in der jüngeren Vergangenheit auch niemand Wichtiger verstorben. Für ihn war unser Frühstück kein trauriger Anlass, sondern es verhielt sich genau umgekehrt. Mit dieser Frage erinnerte er an die Unvorhersehbarkeit des Lebens und dessen Endlichkeit. Die Freude über unser Miteinander, aber auch der Gedanke über die Vergänglichkeit des Lebens, ließen uns für einen Moment innehalten, um auch dieses Bewusstsein zu teilen.
Natürlich brauchen wir eine gesunde Distanz zu unserer Sterblichkeit, aber sehr oft ist uns nicht bewusst, dass wir eben nicht unendlich viel Lebenszeit zur Verfügung haben. Jede/r von uns wünscht sich, in Gesundheit alt zu werden, aber dafür haben wir keine Garantie. Wir leben so unbewusst als hätten wir noch unzählige Gelegenheiten schöne Momente zu erleben – aber einen Schicksalsschlag später kann alles schon ganz anders aussehen. Wir erkennen erst dann, dass wir viel zu viele Momente achtlos an uns haben vorüberziehen lassen. Die Erkenntnis, die von meinem Freund mit der Frage nach dem letzten Kaffee eingeleitet wurde, hat unserer ohnehin langjährigen Freundschaft noch einmal eine neue Qualität gegeben – das Bewusstsein, gemeinsame Momente gut zu verinnerlichen und die Dankbarkeit für den Augenblick.
Natürlich können wir uns auf einen Verlust, der uns im Herzen berührt, nicht vorbereiten und dies schon gar nicht, wenn er unerwartet und plötzlich kommt. Wir können nur einen Weg finden mit dem Verlust und der Trauer umzugehen – jeder Mensch auf seine ganz individuelle Art. Dabei sind es vor allem die positiven Erinnerungen, die uns die Tränen nach einer angemessenen Trauerphase mit einem Lächeln aus dem Gesicht wischen. Erinnerungen an gemeinsame Momente, Erlebnisse und das Wissen, dass wir Verbundenheit erleben durften. Wenn es uns also in unserem betriebsamen Alltag immer wieder gelingt, kurze Momente innezuhalten und achtsam, für die kleinen Geschenke des Augenblicks zu sein, schaffen wir uns Räume für Erinnerungen, die wir als Ressourcen immer wieder abrufen können.
Aus dieser Perspektive auf das Leben drängt sich die Frage auf, ob wir nicht öfter das Leben feiern sollten, anstatt uns mit Kleinigkeiten und Alltagsquerelen auseinanderzusetzen. Sehr viele Begegnungen mit unseren Mitmenschen bieten uns die Chance einen positiven Augenblick zu generieren – diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen und sie so oft wie möglich nutzen.
Gerade in der Begleitung von Menschen, die einen Verlust verarbeiten müssen, erleben wir immer wieder, dass es die schönen Momente sind, an die wir uns morgen noch erinnern werden. Es ist uns in der Geschäftigkeit des Lebens nicht immer bewusst, dass wir sehr oft keine zweite Chance für eine verpasste Gelegenheit bekommen und dass wir nach erlebten Schicksalsschlägen den vermeintlich „verpassten Chancen“ lange Zeit nachtrauern.
Auch wir selbst werden irgendwann eine Lücke in den Herzen jener Menschen hinterlassen, die uns nahestehen. Grund genug, jede Möglichkeit zu nutzen und gemeinsame Momente zu zelebrieren und sie zu unvergesslichen Momenten zu machen – denn wir wissen tatsächlich nie wie sich unser Leben entwickelt und wann wir einen letzten Kaffee gemeinsam trinken werden.
Liebe Leser:innen, als bekennende Kaffeetrinker:innen freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme, denn wir wollen gerne jede Chance nutzen, um Ihren Gedanken über das Leben und seinen besonderen Momenten Raum zu geben. Eine Tasse Tee oder Kaffee schadet dabei nie, oder? :-) >>FEEDBACK<<
Ihr mcb Team
Literaturverzeichnis:
Yalom, Irvin D.; Yalom, Marilyn (2022) Unzertrennlich: Über den Tod und das Leben. btb Verlag
Schweppe, R., Long, A. (2022). seelenverwandt: Weisheitsgeschichten und Meditationen über die Kraft der Freundschaft. Deutschland: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.