Der Freund in dir

Beispielsweise sprechen wir von Eigenschaften oder Vorzügen, die wir nicht wirklich besitzen oder nur selten zeigen. So denkt vermutlich die Mehrheit der Autofahrenden, dass sie bessere Chauffeure sind als der Durchschnitt. Diese Selbsttäuschung ist sozusagen der psychologische Normalfall. „Denn ohne diese freundlichen Illusionen über unseren Charakter brächten wir kaum genügend Selbstsicherheit und Selbstvertrauen für die Bewältigung des Alltagsleben auf“ (H. Ernst, 2014). Es bleibt jedoch nicht aus, dass wir uns durch Ungeschick oder Unwissen blamieren, einen gravierenden Fehler machen oder uns unerwartet intolerant oder aggressiv verhalten. Genau in jenen Momenten, in denen wir mit diesem anderen Teil  unseres „Ichs“ konfrontiert werden, wird uns schmerzlich bewusst, dass wir doch nicht so „vollkommen“ sind, wie wir meist denken.

Gerade deshalb fällt es uns in diesen Momenten schwer einen freundschaftlichen und verständnisvollen Blick auf uns selbst zu richten. Viel eher gelingt es uns ein selbstkritisch nörglerisches Denken einzunehmen und in manchen Fällen sogar ein selbstzerstörerisches  selbstverletzendes Verhalten an den Tag zu legen. Es scheint, als wären wir geradezu darauf spezialisiert, destruktive Selbstkritik zu üben, wenn uns Gedanken in den Sinn kommen wie etwa: „Das ist wieder typisch für mich, das kann doch nur mir passieren!“ „Wahrscheinlich bin ich zu dumm, denn ich bringe ja gar nichts auf die Reihe!“ Wenn also unser Denken von solchen oder ähnlichen Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen geprägt ist, so bestrafen wir uns damit eigentlich und sind meilenweit von einem freundschaftlichen Umgang mit uns selbst entfernt. Dieses Verständnis von „Bestrafungsmustern“ ist Teil unserer moralischen Sozialisation, das als Ergebnis von erfahrenem Tadel oder erlebten Sanktionen in uns schlummert.

Was könnte aber nun unter einem „freundschaftlichen Umgang mit sich selbst“ verstanden werden? Ganz bestimmt nicht der sprichwörtliche Blick durch die rosarote Brille, getreu dem Motto: „Think positiv“ und ähnlich aufmunternde Sprüche. Ebenso wenig kann es bedeuten, passiv auf dem Sofa zu sitzen und sich selbst zu bedauern, wenn die Dinge gerade nicht so laufen, wie wir es uns wünschen. Im Grunde genommen ist vielmehr jene innere Haltung gemeint, die wir unseren engen Freunden, Bekannten und Bezugspersonen in belastenden Situationen entgegenbringen. Diese Haltung ist in der Regel von Geduld, Nachsicht und Akzeptanz geprägt, welche scheinbares Fehlverhalten Nahestehender weder mit erhobenem Zeigefinger kritisiert, noch die Betroffenen mit Vorwürfen quält, um deren  vorhandenes Leid noch zusätzlich zu verstärken.

Interessanterweise gelingt uns ein freundschaftlicher Umgang eher mit unseren Mitmenschen als mit uns selbst.  Wenn wir „stolpern“ zeigen wir / uns selbst gegenüber weniger Mitgefühl, sondern sind bemüht, uns so rasch wie möglich „wieder auf Kurs“ zu bringen. Damit uns dies gelingt, verurteilen wir uns für unsere Unaufmerksamkeit, unsere Ungeschicklichkeit oder unsere Fehlerhaftigkeit, denn wir sind der Ansicht, dass uns Selbstkritik rascher in die Alltagsroutine zurückbringt. Diese Annahme könnte – wie bereits erwähnt - einer Sozialisation entstammen, in der die Ansicht vertreten wird, dass ein Ausgleich der Schuld durch Strafe erfolgen könne.

Diese Betrachtungsweise kann jedoch jederzeit verändert werden, denn ob wir nun eher freundschaftlich oder kritisch mit uns umgehen hängt im Wesentlichen davon ab, welche Sicht wir auf uns selbst haben. Das heißt, wie wir uns als Person wahrnehmen und wie wir das bewerten, was wir sehen. Wenn wir es schaffen, das, was uns gefällt sowie das, was uns nicht gefällt, gleichermaßen zu respektieren, sind wir auf einem guten Weg, uns selbst ein „guter Freund“ zu sein bzw. zu werden. Wir schlüpfen sozusagen in die Rolle unseres besten Freundes und werfen einen wohlwollenden Blick auf unser eigenes Denken und Tun. 

Neue Betrachtungsweisen ins Leben zu integrieren kann ein sehr hilfreicher und spannender Prozess sein. Gerne unterstützt Sie das Team von 'mcb Coaching & Beratung hierbei. >>Feeback<<

Weiterführende Literatur:
• H. Ernst. (2014). „Ich bin Okay! Auch wenn ich es mal nicht bin.“ In: Psychologie Heute compact. (Heft 38). S. 51 – 55
• U. Nuber (2014). „Warum so unerbittlich In: Psychologie Heute compact. (Heft 38). S. 57 - 59
• B. Schönberger. (2014). „das Ewige auf und ab. Was den Selbstwert stärkt – und was ihn schwächt.“ In: Psychologie Heute compact (Heft 38). S 9 - 13

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